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204412

Gedächtnis und Transzendenz

Wolfgang Köhler

pp. 170-201

Abstract

Die Umgangssprache benutzt den Begriff "Gedächtnis' in einem spezifischen und engen Sinn. Von Gedächtnis zu sprechen erscheint nur dann natürlich, wenn wir mit der Vergangenheit beschäftigt sind: "Ich weiß genau, daß ich Ihren Brief eingeworfen habe", "ich erinnere mich noch an die Seminare von Professor Stumpf" — mit solchen Äußerungen beziehen wir uns auf Tatsachen des Gedächtnisses. Es scheint nicht richtig, dasselbe Wort anzuwenden, wenn es sich um Tagträume, andere Ergebnisse der Einbildung oder um das Träumen im Schlaf handelt. Einzelheiten aus unserer Vergangenheit können in diesen Situationen zwar wieder lebendig werden, aber sie werden mehr oder weniger beiläufig wieder erweckt, und es besteht keine Absicht, das abzubilden, was sich im früheren Leben wirklich zugetragen hat. Nichtsdestoweniger ist es klar, daß man den größten Teil des "Materials", das in solchen Vorgängen erscheint, nie träumen oder sich vorstellen würde, wenn sich nicht prinzipiell ähnliche Erlebnisse in unserer Vergangenheit ereignet hätten. Obgleich der Inhalt von Träumen und Einbildungen nicht in der Vergangenheit lokalisiert sein mag, ist er wenigstens ganz deutlich von Ereignissen abhängig, die zeitlich oft weit zurückliegen. In der Psychologie haben wir keinen zutreffenden Begriff für diesen Einfluß der Vergangenheit, der zwar dem Gedächtnis verwandt und doch nicht Gedächtnis im üblichen Sinne ist.

Publication details

Published in:

Köhler Wolfgang (1968) Werte und Tatsachen, ed. Selbach Ottilie C. Dordrecht, Springer.

Pages: 170-201

DOI: 10.1007/978-3-642-88701-7_7

Full citation:

Köhler Wolfgang (1968) Gedächtnis und Transzendenz, In: Werte und Tatsachen, Dordrecht, Springer, 170–201.