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223026

Abschied von der "Risiko-Gesellschaft"?

Ortwin Renn

pp. 230-251

Abstract

Das Jahr 2006 markiert den 20. Jahrestag dreier bedeutender technischer Katastrophen: der Tschernobyl-Katastrophe, des Challenger-Unfalls und der Verschmutzung des Rheins nach einem Feuer in einer Lagerhalle für Chemikalien in Basel. Diese drei Ereignisse hatten weitreichende Auswirkungen auf die öffentliche Meinung. Bereits vor 1986 hatten mehrere Umfragen in den Vereinigten Staaten, Kanada und in den meisten Staaten Europas eine ambivalente Haltung von einem Großteil der Bevölkerung im Hinblick auf die Möglichkeiten und Risiken großer technologischer Systeme aufgezeigt.1 Studien zur Risiko-Wahrnehmung und Untersuchungen zu Einstellungen gegenüber neuen Technologien wiesen nach, dass sich die Bevölkerung mit Auswirkungen von Großtechnologien auf Umwelt und Gesundheit zwar kritisch auseinandergesetzt hatte, sie aber weiterhin den Beteuerungen der technischen und politischen Elite vertraute. Obwohl dieses Vertrauen durch den Beinahe-Unfall in Three-Mile- Island und die Auseinandersetzung über Nuklear-Abfälle bereits ins Wanken geraten war, waren die meisten US-Amerikaner (siehe Bella et al. 1988; Kasperson et al. 1999) und ebenso auch die meisten Europäer davon überzeugt, dass Großtechnologien wie Kernenergie oder Müllverbrennungsanlagen aus wirtschaftlichen Gründen notwendig seien – wenn auch als wenig geliebte Symbole der Modernisierung (siehe Otway/von Winterfeldt 1982; Barke/ Jenkins-Smith 1993). Zudem wiesen Meinungsumfragen nach, dass der ‚Expertenkultur" Fachwissen und die Fähigkeit zur Problemlösung zugeschrieben wurde, auch wenn diese Kultur wesentlich schlechter bei der Beurteilung assoziativer Merkmale, wie emotionale Nähe und zugeschriebene moralische Motivation, abschnitt. Die Vertreter der ökologischen Bewegung und die Kritiker von Technik wurden als ehrliche und tapfere Kämpfer mit überzeugenden Motiven, aber mangelndem technischen Fachwissen eingestuft. Das öffentliche Bild wurde durch den Dualismus Rationalität der wissenschaftlichen und technologischen Experten auf der einen, und Moralität der Umweltschützer und Technikkritiker auf der anderen Seite geprägt.

Publication details

Published in:

Aderhold Jens, Kranz Olaf (2007) Intention und Funktion: Probleme der Vermittlung psychischer und sozialer Systeme. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Pages: 230-251

DOI: 10.1007/978-3-531-90627-0_12

Full citation:

Renn Ortwin (2007) „Abschied von der "Risiko-Gesellschaft"?“, In: J. Aderhold & O. Kranz (Hrsg.), Intention und Funktion, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 230–251.