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Pasternak zwischen Neukantianismus und Sophiologie

Zur Architektur des Bruchs mit der Philosophie

Christian Zehnder(Fribourg University)

pp. 111-149

Abstract

Wenige Dichter haben den Neukantianismus so explizit poetisch zum Gegenstand und textgenerierenden Prinzip gemacht wie Boris Pasternak in seinen frühesten Texten, und später noch einmal besonders fulminant in Ochrannaja gramota (Geleitbrief, 1931), einem autobiographischen Roman u.a. über sein Gastsemester in Marburg 1912. Das analytisch "setzende" Denken des Neukantianismus (zumal Hermann Cohens) kontrastiert bei Pasternak allerdings immer schon mit einer abgewandelten Form der Sophiologieund des Weiblichkeits-/Geburtlichkeitskults der russischen Moderne. In dem Artikel wird das Oszillieren zwischen den Paradigmen des "Konstruktivistischen" und des aktiv-passiv "Schöpferischen" konzeptualisiert. Als dritte Kategorie zeichnet sich dabei –so die Hypothese –das "Architektonische" ab, was u.a. in einer Lektüre der emphatischen Venedig-Episode von Ochrannaja gramota gezeigt wird (dies wiederum im Kontrast zum Venedig-Ikonoklasmus des italienischen Futurismus). Was die intellektuellen Netzwerke betrifft, werden die Bildungsbiographie und die Frühschriften Pasternaks heuristisch in den Kontext der neukantianischen Zeitschrift Logos (auf Russisch 1910–1914) und des religionsphilosophischen Verlagshauses Put’ (1910–1917) gestellt.

Lines

1Es mangelt nicht an Darstellungen zu Boris Pasternaks Beschäfti|gung mit Philosophie. Seine neukantianischen Studien wurden bio|graphisch (u.a. Barnes 1989, 119–146; Fleishman 1990, 21–38) und philosophie-/literaturgeschichtlich (u.a. Fleishman 2006 [1993]; Fleishman, Harder & Dorzweiler 1996a; Dmitrieva 2007, 185–189) ausführlich thematisiert und auch poetologisch, produktions|ästhetisch sowie intertextuell in Bezug auf Pasternaks Lyrik und Prosa perspektiviert (u.a. Gasparov 2013; Glazov-Corrigan 2013). Verhältnismäßig selten kam der Neukantianismus dabei als ein Paradigma der Wirklichkeitskonstitution oder des world making in den Blick,1 das durch Pasternaks biographische Sprünge hindurch – von der Musik zur Philosophie und von der Philosophie zur Poesie – womöglich weitgehend intakt bleibt. Entsprechend wenig ist aber auch die markante nicht-konstruktivistische Gegentendenz in Pas|ternaks Ästhetik als ein zugleich wirksames Paradigma konzeptualisiert worden. Zwar wurde Pasternak immer wieder mit der symbolistischen Sophiologie und ferner mit Goethes «Ewigweiblichem» assoziiert (u.a. Ivanov 1992; Uhlig 2001; Užarević 2006;), und man könnte ein vages sophiologisches Motiv als jene Gegentendenz identifizieren. Noch nicht geleistet wäre dann allerdings eine Zusammen|sicht mit dem Neukantianismus, also der Versuch, die beiden Paradigmen in ihrem dynamischen Verhältnis zu würdigen. Dies möchte ich im vorliegenden Beitrag in Form einer Sondierung tun, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Ich werde mich dabei auf eine dritte Kategorie beziehen: jene der Architektonik. «Architektur» ruft im Zusammenhang mit moderner russischer Literatur und Kunst vermutlich zuerst Osip Mandel'štams akmeistische Kathedralen auf (siehe u.a. Cavanagh 1995, Kantor-Kazovsky 2001 oder Painter 2006), dann die Objektkunst des futuristischen Konstruktivismus, etwa das «Monument» [Pamjatnik] Vladimir Tatlins oder die «Architektone» Kazimir Malevičs, aber auch Michail Bachtins anti-formalistisches Formkonzept der «Architektonik» [architektonika].2 In einer weiteren europäischen Perspektive ist Paul Valérys – von Rilke ins Deutsche übersetzter – Dialog Eupalinos ou L’architecte eine zentrale Referenz, was architektonische Metaphoriken der modernen Ästhetik betrifft. Valéry geht von einem Gegensatz zwischen dem «Bauen» [le construire] der Kunst und dem «Erkennen» [le connaître] der Philosophie aus (Valéry 1944 [1923], 73, 91) und bringt diese Kategorien im Verlauf seines Dialogs zwischen Phaidros und Sokrates in Bewegung. Es scheint nun, dass in der russischen Moderne die Präsenz der Sophiologie und damit der Vorstellung von der göttlichen Weisheit als Baumeisterin der Schöpfung einen Architekturdiskurs möglich machte, der sich nicht aus Oppositio|nen zwischen «Tun» und «Denken», «Natürlichkeit» und «Künst|lichkeit» etc. speist.3

2Angesichts des unübersehbaren architektonischen Leitmotivs im Geleitbrief [Ochrannaja gramota 1931] – Pasternaks autobiographi|schem Roman über seinen Bruch mit der akademischen Philosophie 1912/13 – kann Architektonik als übergreifendes «sophianisches» Paradigma seines Kunstdenkens neben dem neukantianischen in Betracht gezogen werden. In kaum direkt ausgesprochener und selten eindeutiger, jedoch immer wieder spürbarer Absetzung von modernen Konstruktivismen – sei es vom Neukantianimus im Bereich des Denkens, sei es vom analytischen Futurismus in den Künsten – verteidigt Pasternak einen wachstumsmäßigen Begriff schöpferischen Hervorbringens, wobei er auf neukantianische Denk|figuren keineswegs verzichtet. Dieses Nebeneinander werde ich abschließend an der Venedig-Episode von Ochrannaja gramota skizzieren und dabei die Destruktion der «alten Architekturen» Venedigs, wie sie die italienischen Futuristen gefordert hatten, als zusätzliche Kontrastfolie beiziehen.4

1 | Neukantianismus und Sophiologie – ein asymmetrisches Verhältnis

3Ich schlage also vor, Pasternak zwischen Neukantianismus und Sophiologie zu situieren – und damit am Übergang zweier grundverschiedener Konzeptualisierungen des Setzens von Ursprüngen. Auf der einen Seite der Konstruktion des Seins im «reinen Denken» (so die Formulierung Hermann Cohens).5 Auf der anderen Seite – der göttlichen Weisheit als Erbauerin eines Tempels (wie sie im Alten Testament vorgestellt wird; Spr 9,1).6 Dazu muss sogleich einschränkend gesagt werden: Neukantianismus ist eine internationale akademisch-philosophische Bewegung, wie sie u.a. die um 1910 in mehreren Ländern erscheinende Zeitschrift Logos dokumentiert (die russische Version wurde von Ėmilij Metners Verlag Musaget in Moskau herausgegeben). Sophiologie ist hingegen eine außerinstitutionelle spirituelle Denkströmung, in hohem Maße charakteristisch für die moderne russische Religionsphilosophie von Vladimir Solov'ev bis Pavel Florenskij und Sergej Bulgakov. Publi|zistisch ließe sich dem sophiologischen Denken für jene Zeit das Verlagshaus Der Weg [Put'] (1910–1917) zuordnen, dessen Autoren Logos aufmerksam lasen und in ausführlichen Polemiken auf die dort publizierten Texte reagierten (siehe Meerson 1995 und Goller|bach 2000, 346–356). Evgenij Gollerbach charakterisiert Logos als «neo-westlerisch», Put' als «neo-slavophil», und verweist damit auf die eminent politische Dimension der Entgegensetzung.

4In dieser Hinsicht wäre der junge Pasternak klar auf der Seite von Logos anzusiedeln, wobei politische Aspekte in diesem Beitrag nicht berücksichtigt werden können. Wenn Nikolaj Berdjaev den Neukantianismus für erfahrungs- und lebensfeindlich hielt und Vladimir Ėrn in ihm nur «westeuropäischen» Rationalismus sah,7 so strebte Pasternak Abstraktion von der Existenz gerade an – «Ich liebe es nicht zu leben, ich liebe es zu deuten»8 –, und er zeichnet von der strengen Philosophie ein differenzierteres Bild (dabei muss bemerkt werden, dass er sich auf den Marburger, nicht auf den südwest|deutschen Neukantianismus bezog, der in Logos und in den Musaget-Zirkeln präferiert wurde). In Ochrannaja gramota hebt Pasternak später hervor, dass gerade die neukantianische «Reinheit», d.h. die Reduktion der Wirklichkeit auf das Wissen der Wissen|schaft, die Philosophie «urwüchsig» [samobytno] mache und wieder «jung werden» lasse [filosofija vnov' molodela] (III, 168). In diesem Sinne weitet sie sich bei Pasternak zur Poetologie. Die «Marburger Richtung» habe – man beachte die archäologisch-architektonische Metapher – «alles bis zum Fundament durchgraben und auf reinem Grund gebaut» [pereryvalo vse do osnovan'ja i stroilo na čistom meste] (III, 168). Und es war zweifellos der Anspruch des jungen Paster|nak, das Gedicht nach diesem Modell zum Bereich eines «reinen» Neu-Aufbaus des Wahrgenommenen zu machen. Als zweiten Grund für die hohe Attraktivität des Marburger Neukantianismus nennt er, scheinbar im Widerspruch zur «Eigenständigkeit», dessen «Historis|mus». Das Cohensche «Denken der Wissenschaft» versteht er als höhere «Autorschaft» [avtorstvo], als «gleichsam von der Geschichte autorisierte Disposition» [V takom, kak by avtorizovannom samoj istoriej, raspoloženii (…)] (III, 168; meine Hervorhebung, Ch. Z.).

5Nun scheint es, dass Pasternak in diesem Punkt sachlich dem Put'-Mitherausgeber Evgenij Trubeckoj Recht gibt, indem er für sein Lob eine Denkfigur aus Trubeckojs Kritik am Neukantianismus verwendet. Das Argument in Trubeckojs Abhandlung Die Metaphy|sischen Voraussetzungen der Erkenntnis. Versuch einer Überwindung Kants und des Kantianertums [Metafizičeskie predpoloženija poznanija. Opyt preodolenija Kanta i kantianstva 1917] hatte gelautet, dass Cohen, indem er die Wissenschaften als «Subjekt» der Philosophie einführte, zugleich den Transzendentalismus bzw. «Panmethodis|mus» seines Systems ad absurdum geführt habe: Die Wissen|schaften, so Trubeckoj (1917, 240f. et passim), würden durch ihren Datenpsychologismus jenen Empirismus zurückbringen, den zu überwinden Cohens Neukantianismus zuallererst vorgebe (vgl. Meerson 1995, 236f.).

6In der Art und Weise, wie sich in Pasternaks Darstellung der Marburger Schule Apriorismus und Historismus scheinbar frei ergänzen, ist eine ähnliche Reibung nicht zu überhören, die er freilich ins Positive wendet. Letztlich ist in beide Richtungen von gleitenden Übergängen auszugehen: So gehörte der Neukantianer Fedor Stepun zum Logos-Kreis, hatte aber – wie auch Semen Frank – schon früh eine religionsphilosophische Ausrichtung (und umso mehr später in der Emigration).

7Auf der anderen Seite bezogen sich die Put'-Autoren Berdjaev und Bulgakov in ihrem religiösen Personalismus auf Heinrich Rickert. Noch Aleksej Losevs Interesse für Ernst Cassirer könnte den Befund der mindestens teilweise fließenden Grenzen belegen. Was alle Autoren von Put' und Logos teilten, war eine entscheidende Prägung durch den Symbolismus und das Denken des Symbols. Im Fall eines Andrej Belyj sind Solov'evs Sophiolologie und Rickerts Wertphilosophie verschiedene Seiten ein und desselben symbolisti|schen Kunstdenkens. In den Diskussionsforen des Umfelds von Musaget waren u.a. Belyj und Stepun federführend. Hier, im Kreis zur Erforschung von Problemen der ästhetischen Kultur und des Sym|bolismus in der Kunst [Kružok dlja issledovanija problem ėstetičeskoj kul'tury i simvolizma v  iskusstve] hielt Pasternak 1913 seinen Vortrag Symbolismus und Unsterblichkeit [Simvolizm i bessmertie], in dem er eine neukantianisch anmutende Herleitung symbolistischer Ästhetik vornahm.9 Die Figur des Dichters als «freier Subjektivität» [svobodnaja sub''ektivnost'], d.h. als frei schwingender «Qualität, die «sich verhält wie die Gegenstände um ihn» [vedet sebja kak predmety vokrug], zeigt allerdings, dass hier eine mit Cohens Konstruktivis|mus unvereinbare Rezeptivität ins Spiel kommt. Lazar Fleishman hat «Simvolizm i bessmertie» denn auch als von Edmund Husserl inspiriert und also wesentlich «phänomenologisch» aufgewiesen (Flejšman 2006 [1975], 350–355). In der Vorstellung einer höheren Passivität, eines werthaften «Sich-Unterwerfens» [Poėt pokorjaet|sja…] erscheint die Poeto-logie von «Simvolizm i bessmertie» aber eben auch anschließbar an die Qualität der «Sophianizität» [sofij|nost'], die wiederum wenige Jahre später der – noch stark neukantianisch geprägte – Michail Bachtin als «aktiv-passiv» bestimmte.10

8Es ist angesichts dieser Konstellation kaum verwunderlich, dass bei Pasternak keine Dichotomie «Neukantianismus vs. Sophiologie» zu finden ist.11 Was die Denkstile seiner Studienjahre betrifft, spricht der Erzähler in Ochrannaja gramota von drei koexistierenden Formationen – Intuitivismus (Bergsonismus), Phänomenologie und Neukantianismus:12

Die Sympathien teilten sich zwischen drei Namen. Ein großer Teil folgte Bergson. Die Verfechter des Göttinger Husserlianis|mus fanden Unterstützung in Špet. Die Anhänger der Marbur|ger Schule waren führungslos. Sich selbst überlassen, vereinigten sie sich in zufälligen Untergruppen jener persönlichen Tradition, die sich noch von S.N. Trubeckoj herleitete.13

9Diese Führungslosigkeit ist vermutlich kein unbedeutendes Argu|ment für Pasternaks Wahl des Neukantianismus. Auf jeden Fall stand die Religionsphilosophie (in ihrer russisch-orthodoxen Aus|prägung) akademisch gesehen gar nicht zur Auswahl. Von daher muss ganz klar gesagt werden: Pasternak zwischen Neukantianismus und Sophiologie zu verorten heißt, ein tentatives und hochgradig asymmetrisches Verhältnis zu entwerfen.

10Pasternak war ab 1910 für mindestens zwei Jahre unbestreitbar Neukantianer, ein allem Anschein nach außerordentlich begabter und vielversprechender, übrigens sehr fleißiger Philosophiestudent. Seine in zwei Bänden edierten Studienhefte dokumentieren dies auf eindrückliche Weise.14 Dass Hermann Cohen dem Gaststudenten aus Moskau am Ende des Sommersemesters 1912 empfahl, in Mar|burg zu bleiben und hier sein Doktorexamen abzulegen (Pasternak 2003–2005 III, 192), zeugt von seiner ernsthaften Beschäftigung mit systematischer Philosophie. Nur unter dieser Voraussetzung auch konnte es zu einem derart ekstatisch gelebten/inszenierten Bruch mit der Philosophie kommen, der durch Ochrannaja gramota und das darin geschilderte Liebesdrama regelrecht zum Mythos wurde – «Jede Liebe ist der Übergang zu einem neuen Glauben» [[…] vsjakaja ljubov' est' perechod v novuju veru] (Pasternak 2003–2005 III, 184) –, der aber auch in Pasternaks Marburger Briefen von 1912 schon klar als solcher sichtbar ist.

2 | Minimale Sophiologie: Sophia und Chora

11Ganz anders verhält es sich mit der Sophiologie. In Pasternaks Schriften ist eine konkrete Beschäftigung mit Sophiologie kaum nachzuweisen.15 Immerhin deutet in seinem literarischen Werk einiges auf eine vertiefte Kenntnis sophiologischer Systeme hin: In Ljuvers' Kindheit [Detstvo Ljuvers 1922)] ist ein gnostisch-sophiologischer Intertext wahrscheinlich. Im Gedichtband Meine Schwester, das Leben [Sestra moja – žizn' 1922] verweist die Anrufung der «Schwester Leben» auf die alttestamentliche Weisheit. In Doktor Živago (1957) liest der Protagonist in seiner Jugend Solov'evs Der Sinn der Liebe [Smysl ljubvi 1894], also einen der Haupttexte der russischen Sophiologie. Zahlreiche Details des Romans können mit der Sophiologie motivisch verknüpft werden. Biographisch-materiell sind wir dabei ungleich viel stärker im Ungefähren als hinsichtlich der Beschäftigung mit dem Neukantianismus.

12Dieses Bild ist allerdings teilweise zu relativieren. Man muss sich vor Augen führen, dass bereits der Hinwendung zum Neukantianismus ein «Bruch» vorausgegangen war. Pasternak hatte gebrochen mit der Musik [rvu s muzykoj], wie es in Ochrannaja gramota heißt; (Pasternak 2003–2005 III, 156), mit dem Komponieren in der Nachfolge des «dionysischen» Aleksandr Skrjabin. Pasternaks Cousine Ol'ga Frejden|berg, die berühmte Altphilologin, hatte ihm eine rationale Kur nahe|gelegt, eine «disziplinarische Bearbeitung» [disciplinarnaja obrabotka]16 gegen das chaotische Element, in das der exaltierte Cousin ihr verstrickt schien (Fleishman, Harder & Dorzweiler 1996a, 51). Die Hinwendung zum Neukantianismus war also auch als eine Flucht ins andere Extrem konzipiert – und in diesem Sinne immer schon bedingt durch die Welt des Chaotischen. Man könnte sagen: So wie Pasternak die Philosophie noch im Koffer haben wird bei seiner Abreise aus Marburg, so hatte er bereits ein signifikantes Maß an Abgründigem in die deutsche Universitätsstadt mitgebracht.

13Das chaotische Element verband Pasternak – und die «männ|liche» Frejdenberg scheint ihn darin bestärkt zu haben – mit einem Topos des «Weiblichen» [ženstvennost']. Nur: Rechtfertigt dies die Rede von Sophiologie? Sicher nicht im Sinne eines Denksystems. Wir müssen anders ansetzen, wenn wir Pasternaks Weiblichkeits|obsession, die ihn in gewissem Sinne erst zum von ihm als «männ|lich» wahrgenommenen Neukantianismus brachte, gerecht werden wollen. Der nach meiner Einschätzung noch heute überzeugendste Ansatz diesbezüglich stammt von Samson Brojtman (2003). Brojt|man bezog sich auf die Figur des Weiblichen, um Pasternaks spezifische Stellung im russischen «Postsymbolismus» zu definieren. Pasternak habe Bloks Wunderschöne Dame [Prekrasnaja dama] bzw. Unbekannte [Neznakomka] – also die als Femme fatale hypostasierte Sophia –, de-objektiviert und internalisiert. Die für Bloks poetische Produktion charakteristische paranoide Fixierung auf die inkarnierte Schönheit weiche im Schreiben des jungen Pasternak einer Auffas|sung vom Weiblichen als Qualität, die beweglich ist und zuneh|mend diskret und implizit wird.

14Brojtman spricht anstatt von Sophio-logie vom «Sophianischen» [sofijnoe] bzw. von der «Sophianizität» [sofijnost']. Dies hat den Vorteil, dass systemische Assoziationen und die Teleologie einer Absorption der Sophia durch den Logos vermieden werden kön|nen.17 So ließe sich von einer postsymbolistischen Medialisierung der Sophiologie sprechen: Das nervöse Wechselspiel zwischen glorioser Aufhellung und dämonischer Verfinsterung, das bei Solov'ev, Blok und Belyj die flimmernd-flackernde Gestalt der Sophia ausmachte, wird zu einem Zwischenton.

15Diese Transformation lässt sich an Pasternaks früher Prosa, den sogenannten Reliquimini-Fragmenten von 1910–1912, und ihren Dämmerungs-Figuren nachvollziehen.18 Die Dämmerung – im Gegensatz zu der notorisch «ortlos» [bez mesta] bleibenden Sonne – wird zum radikal rezeptiven Raum, ja, wie man sagen könnte, zu einer eigentümlichen Chora. Der durch Jacques Derrida und Julia Kristeva neu ins Spiel gebrachte platonische Raum-Begriff (χώρα) liegt hier keineswegs fern.19 So spricht Pasternak (V, 16) das Lyrische einmal als vmestilišče perenosnogo smysla an, also als «Raum des übertragenen Sinns» (wobei «vmestilišče» eine der gängigen russi|schen Umschreibungen der Chora ist, dem deutschen Rezeptakel entsprechend). Platons Leitmetapher für die Chora, jene «schwierige und dunkle Form», ist freilich eine geburtliche: Sie nimmt «alles Werden in sich auf […] wie eine Amme [russ. kormilica].» (Timaios 49a; Platon 2003:87). Gerade Derridas Umschreibungen der Chora scheinen auf Pasternaks sophianischem Raum der Dämmerung zu passen: «ni ceci ni cela, et ceci et cela», «toute proche et infiniment lointaine» (Derrida 1993, 3f.; Hervorhebung im Original) usw. Auch mit Kristevas Ansatz, die Chora als vorsprachlichen Bereich aufzufassen, der jeder kodifizierten symbolischen Ordnung vorausliegt, jedoch bereits «Rhythmisierungen» kennt (Kristeva 1974, 23f.), trifft gewisse Aspekte des Medial-Sophianischen bei Pasternak. Die Grenze einer solchen Annäherung markiert indes Pasternaks Symboltheorie, wie er sie in Ochrannaja gramota entwickelt. Kunst, schreibt er, finde das Metaphorische als das Ekstatische, Nichtiden|tische «in der Natur» vor und sei in diesem Sinne «realistisch», während sie «als Faktum symbolisch» [simvolično kak fakt] sei. Sie wird also nach Pasternak symbolisch, insofern sie die Wirklichkeit als «verschobene» [smeščennaja dejstvitel'nost'], als Kraftfeld von An|ziehungen, d.h. Allverwobenheit der Teile ganz gegenwärtig mache (Pasternak 2003–2005 III, 187). Wie man hieraus entnehmen kann, besteht zwischen dem Bereich des vorgefundenen «Verschobenen» und dem angeordnet «Symbolischen» kein Hiat. Mehr noch: Weder ist Pasternaks Chora ganz vorsprachlich, noch fasst er das Symboli|sche als abschließend-totalisierend auf.

16Der Begriff eines reduzierten, ja minimalen Sophianismus mag vor dem Hintergrund der großen sophiologischen Traditionen vom Alten Testament über die Ikonentheologie, die byzantinische Kir|chenarchitektur bis hin zu Gnosis und Theosophie überraschen. Die Sophia ist allerdings schon im Alten Testament eine Figur des Sich-Entziehenden: Sie ist weder Licht noch Dunkelheit, sie ist eine und kann doch alles werden, sie ist unveränderlich und lässt dabei alles neu erscheinen (Weisheit 7,22–30). Wenn (in einem frühen Frag|ment; III, 465) im dämmerigen Interieur personifiziertes Möbelholz [fanerka] zu tanzen beginnt oder dann in den Gedichten von Sestra moja – žizn' [Meine Schwester – das Leben] das Teekraut am Grund des Glases zum «göttlichen Dickicht» [bož'ja gušča] (I, 144) – und ein «Wäldchen» [rošča] zur Wohnung Gottes (I, 137) werden, so steckt in diesen Anknüpfungen eine sehr spielerische, wenn nicht parodistische Note. Doch gerade das Verspielte und betont Kind|liche ist selbst wieder eine sophiansche Qualität, heißt es doch in den alttestamentlichen Sprüchen (8,30) von der Sophia: «[…] ich war als geliebtes Kind bei ihm [bei Gott]. Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit.» Ganz zu schweigen von der Qualität der Geschwisterlichkeit, die das Alte Testament der Weis|heit zuschreibt und Pasternak so ein entscheidendes Stichwort gibt: «Sprich zur Weisheit: Du bist meine Schwester!» (Spr 7,4).

3 | Sich deklinieren lassen: Pasternaks Passivitätsstrategie

17Wenn man bereit ist, der These einer Medialisierung der Sophio|logie hin zu einem sophianischen Schreiben zu folgen, wird umso mehr Pasternaks Neukantianismus zum Problem. Und interessanterweise hat Fleishman, der beste Kenner von Pasternaks «philosophi|schen Lehrjahren», die künstlerische Relevanz des Neukantianismus und konkret der Marburger Schule für Pasternak in Zweifel gezogen. So schrieb Fleishman (2006 [1975], 348), die Forschung sei von der Marburg-Episode – wie wir sie aus Ochrannaja gramota kennen – «hypnotisiert». In Wirklichkeit sei für Pasternaks frühe Poetik (1913–1918) weniger das «Ursprünge» setzende Denken Hermann Cohens, als Edmund Husserls Phänomenologie von Bedeutung. In der Tat: Das überwältigend-überbordende Erscheinen der Welt in der Poesie kann Pasternak kaum näherhin neukantianisch hergeleitet haben. Zu sehr widerspricht die Cohensche Setzung des Ursprungs Pasternaks Grundintuition, wonach Kunst immer passiv entspringe. In einem seiner Marburger Briefe (1912) schrieb er über die dortige Professorenschaft: «Ja, sie existieren nicht; sie lassen sich nicht deklinieren im Passiv. Sie fallen nicht im Schöpferischen.»20 Es fehlt buchstäblich die Bodenlosigkeit. Und damit ist für Pasternak «die ganze Welt, aus der ich stamme, alles, was es an Weiblichem gibt, ausgeschlossen […].»21 Der Neukantianismus kann angesichts dieser «femininen» Auffassung von Kreativität über lang nur zum Fremd|körper werden. Während das Wissen nach Cohen seinen Gegen|stand «infinitesimal» konstruiert und als «Unendlichkleines» darstellt,22 will Pasternaks Dichterfigur die Welt erleiden.

18Nun stellt sich die Frage, inwiefern die Husserlsche Phäno|menologie uns für die Konzeptualisierung dieser Passivität das geeignete Instrument an die Hand gibt. Die Dynamik des Er|scheinens spricht sicher grundsätzlich dafür. Einiges spricht jedoch auch dagegen. Boris Gasparov (2013, 33f.) gibt zu bedenken, dass das «reine Wissen» des Marburger Neukantianis|mus als subjekt- und intentionsloses, quasi sich von aller Bin|dung losreißendes der Struktur nach am Ende womöglich doch besser zu Pasternaks Intuitionen passe als die Phänomenologie mit ihrer subjektiven Horizontbildung. Cohens Schule wäre insofern mehr als ein scharfer «Kontrapunkt»,23 den Pasternak sich «am Vorabend» [nakanune] bzw. «auf der Schwelle» [na poroge] der Poesie bewusst selbst in den Weg legte, um den Drama|tismus des Bruchs zu steigern. Es wäre im Marburger Denken etwas angelegt, das von einer postsymbolistischen Poetologie umgedeutet und neu besetzt werden kann. Dies gilt insbesondere für Cohens Philosophie der Infinitesimalrechnung. Einige Wochen vor der Entscheidung – «Leb wohl, Philosophie, leb wohl, meine Jugend, leb wohl, Deutschland!»24 – und seiner Weiterreise nach Venedig schrieb Pasternak in einem Brief: «Ich werde nicht sein [Cohens] Schüler. […] Aber falls ich jemals Gedichte herausgäbe, würde ich sie dem Philosophen der infinitesimalen Methode widmen […].»25 Diese Geste der Wid|mung kann mindestens doppelt gelesen werden: negativ, als Hinweis darauf, dass der Dichter den Limes der Integralrech|nung und damit die Grenzziehungen der akademischen Philo|sophie überschritten und hinter sich gelassen hat. Oder aber positiv, als Hinweis darauf, wie sich die Poesie das Paradigma der Approximation ganz im Sinne der deutschen Frühromantik und ihrer «unendlichen Annäherung» zu eigen macht. Im Manifest Die Wassermannreaktion [Vassermanova reakcija 1914] – also zwei Jahre nach Marburg – wird Pasternak (V, 9f.) den Lyriker als «integrierendes Prinzip» [načalo integrirujuščee] und das Lyrische als «Integral einer unendlichen Funktion» [integral beskonečnoj funkcii] ansprechen. Man darf in diesen und ähn|lichen zugespitzt technischen Umschreibungen allerdings nie das Augenzwinkern übersehen.

19In der Mitte von Ochrannaja gramota findet sich die berühmte, in unserem Zusammenhang entscheidende Stelle über den Ursprung des Kunstwerks. Was ihr Vokabular betrifft, überwiegt die phäno|menologische Dimension hier die neukantianische wohl wiederum. Pasternak schreibt:

Es gibt eine Psychologie des Schöpferischen, Probleme der Poetik. Dabei ist an aller Kunst ihre Herkunft das, was am unmittelbarsten erlebbar ist, und über sie [die Herkunft] müssen keine Mutmaßungen angestellt werden.
Wir erkennen die Wirklichkeit nicht wieder. Sie stellt sich vor in einer neuen Kategorie. Diese Kategorie scheint uns ihr eigener, nicht unser Zustand zu sein. Außer diesem Zustand ist alles auf der Welt benannt. Nicht benannt und neu ist nur er. Wir versuchen ihn zu benennen. Es ergibt sich Kunst.
Das Klarste, Eingängigste und Wichtigste in der Kunst ist ihr Hervorgehen, und die besten Werke der Welt, indem sie von den verschiedensten Dingen fabulieren, erzählen in Wirklichkeit von ihrer Geburt. Erstmals verstand ich dies in vollem Umfang in der hier beschriebenen Zeit.26

20Das Erscheinen des Kunstwerks und sein unmittelbares Erleben lassen zweifellos zuerst an die Phänomenologie denken. Fragen wir aber doch in unserem neukantianischen Zusammenhang: Wer setzt hier den Ursprung? Der Künstler lediglich insofern, als er den verwandelten Zustand der Wirklichkeit zu «benennen» [nazvat'] versucht. Die «neue Kategorie» ist ausdrücklich nicht seine denkerische Konstitutionsleistung. Der Künstler ist Nachvollziehender, und Kunst «ergibt sich» [polučaetsja] aus seinem Empfangen. Der Ur|sprung des Kunstwerks ist also vom Künstler her gesehen ekstatisch. Er ist nicht in ihm. Dabei enthält die zitierte Passage ein nicht sofort zu bemerkendes Paradox. Ausgerechnet jene ekstatische Erfahrung der Entsubjektivierung soll das «Klarste, Eingängigste und Wich|tigste an der Kunst» sein. Worin liegt diese von Pasternak behauptete Evidenz des «Hervorgehens» [vozniknoven'e] und der «Ge|burt» [rožden'e]? Offensichtlich gerade in dem Umstand, dass sie sich keiner aktiven Handlung verdanken, dass sie ein Geschehen des «Passiven» und das heißt hier: des Erleidens der Liebe sind. Die eminent feminine Implikation der Kunstwerk-als-Geburt-Metapher bedarf keiner besonderen Erwähnung mehr; offensichtlich handelt es sich um die klassische (wenn auch dezent gehaltene) «maskuline Usurpation der Geburtsmetapher», von der Aage Hansen-Löve (2019, 33) spricht. Höchst raffiniert ist der lakonische Nachsatz: Indem der Erzähler in einer Passivkonstruktion von der «be|schrieben werdenden Zeit» [opisyvaemoe vremja] spricht – stilistisch wirkt das unvollendete Passivpartizip der Gegenwart für dieses Verb umständlich –, signiert er eben diese Zeilen als ein solches poetisches Geschehen, das von seiner eigenen Geburt erzählt. Die Geburts|metapher tritt bei Pasternak so gesehen in einer spezifisch passivisti|schen Spielart auf; betont wird nicht das Gebären, sondern der Prozess des Geborenwerdens.

21Zum Programm der kreativen Passivität gehört für Pasternak allerdings auch, das «Feminine» nach und nach nicht mehr zu benennen und es stattdessen bloß noch zu indizieren. Schon 1912 hatte es in einem seiner poetischen Prosafragmente geheißen: «Das Ewigweibliche, wenn es nicht umspannt ist von einer Leinwand oder Haut, das Ewigweibliche im Gespräch schien ihm eine langweilige Ewigkeit».27 Drei Jahre nach dem Marburg-Aufenthalt schrieb Pasternak an seinen Dichterfreund Aleksandr Štich: «Wenn ich damals [in Briefen aus Marburg] über die Weiblichkeit schrieb, so bloß deshalb, weil ich mich so sehr verirrt hatte: Ich wusste nicht, dass ein Anfall von Leidenschaft besser ist als alle bis zur Unkenntlichkeit geschmückten Worte über sie.»28 Und weiter: «Weiblichkeit ist ein Goethe-Wort. Lies seine Biographie und du wirst aufhören, es im Munde zu führen. Das ist kein Wort für Kinder, nicht für Heranwachsende, noch nicht einmal für Jugend|liche.»29 Es kann also nach Pasternak keinen Diskurs der Weiblich|keit, keine abstrakten Aussagen «über» sie geben. Ganz in diesem Sinne ist im Mittelteil von Ochrannaja gramota – den Entwürfen zu einer Liebes-Poetik – die Weiblichkeit qua Begriff ausgespart. Die sophianisierte Weiblichkeit ist eine zurückgenommene, dabei aber nicht aufgehobene.

22Wie ist eine Architektur des Bruchs konzeptualisierbar, die nicht gegen die Passivität verstoßen würde? Sehen wir uns noch eine weitere, besonders aufschlussreiche Passage aus der Korrespondenz mit Štich an. Über sein Unbehagen an der Marburger Denkschule schrieb Pasternak 1915 zurückschauend:

Ich habe mich früh daran gewöhnt, in diesen Klumpen von Zweifeln [an der neukantianischen Professorenschaft] jenen elementar reinen Stoff zu sehen, der dich, ob du es willst oder nicht, von selbst auf Experimente stößt. Glaubst du wirklich, alle meine Entsagungen wären uneigennützig gewesen? 30

23Die Passivität des Betroffenen – des «Gestoßenen» – ist nach diesem Modell tatsächlich gewahrt. Demnach würde «Architektur des Bruchs» bedeuten: Schon das schiere Zulassen von Zweifeln bringt den Baustoff des werdenden Dichters hervor. Alles, was Pasternaks Dichterfigur tut, ist, sich zu exponieren, sich «stoßen» zu lassen, um kopfvoran in die Kreativität zu stürzen.

4 | «Rhythmischer Asketismus» als neukantianische Spur

24Die Idee einer poetischen Fortsetzung und spielerischen Rekonfigu|ration der Philosophie ist für Hermann Cohen undenkbar. Im ersten Band der Ästhetik des reinen Gefühls (1912) findet sich folgende Bemerkung:

Der Künstler ist glücklicherweise auch über die Erfordernisse seiner Technik hinaus nicht selten ein Gelehrter und ein Talent der Intelligenz und universeller Kulturinteressen, der sich das Philosophieren wohl zutrauen darf. So wird der Künstler zum Philosophen, nimmermehr aber die Kunst zur Philosophie. (Cohen 2005 [1912], VIII)

25Die zweibändige Ästhetik des reinen Gefühls war im Sommer 1912 gerade frisch erschienen, allerdings (als einziges Werk Cohens) in der Bibliothek der Familie Pasternak vorhanden. Pasternak könnte sie also vor seiner Abreise nach Marburg noch zur Kenntnis genommen haben (vgl. Fleishman, Harder & Dorzweiler 1996a, 113). Er führt in Ochrannaja gramota – das ist eindeutig – das exakte Gegenteil von Cohens Szenario vor: Er erteilt dem «Philosophieren» des Künstlers eine Absage, und gerade dadurch geschieht das, was Cohen für unmöglich erklärt: Die Kunst wird zur Philosophie. Als der sich Erinnernde beschreibt, wie er eines seiner Referate für Cohens Seminar vorbereitete, fällt der Satz: «Ich durchlebte das Studium der Wissenschaft intensiver, als der Gegenstand es erforderte».31 Und es folgt das berühmte rhizomatische Bild: «Eine Art pflanzliches Denken saß in mir».32 Indem er sich seine Nichteig|nung für trennscharfe und einfache Begriffsverwendung eingesteht, verlässt der angehende Künstler die Philosophie nicht. Genauer: Er schwört ihr zwar ab, nimmt sie aber dennoch in einer anderen Zuständlichkeit mit. Ol'ga Sedakova (2009, 414) hat mit Goethe von einem «natürlichen philosophischen Zustand» [estestvennoe filosofskoe sostojanie] gesprochen, in dem Pasternaks Schreiben nach der Absage an die begriffliche Philosophie umso mehr verharre. Dass er dann kein «systematischer Philosoph» im Sinne Cohens mehr sein kann, ist offenkundig. Das Titel-Konzept des Geleit- oder Schutz|briefs – beide Übersetzungen von Ochrannaja gramota sind ge|bräuchlich – verstehe ich gerade auch in diesem Sinn: Der Text demonstriert, wie Phänomene, Traditionen, Neigungen gerettet werden können, indem sie unsichtbar gemacht werden.33

26Wir sollten die «Natürlichkeit» von Pasternaks konvertierter Philosophie allerdings nicht überschätzen. Sein Fall widerspricht Cohens Szenario vom legitim Philosophie treibenden Künstler be|reits in einem unvollendeten Essay von 1911 unter dem Titel H. von Kleist. Über Asketik in der Kultur [G. fon Klejst. Ob asketike v kul'|ture].34 Der Künstler betreibe eine bewusst hochgradig «artifizielle» Askese: Ein angehender Künstler, der sich wie Kleist «im vorläufigen dialektischen Stadium» [na predvaritel'noj dialektičeskoj stadii] in die Philosophie vertieft, werde dabei «in einem höheren Sinne zum Philosophen als jeder andere» [filosofom v bol'šem smysle, čem vsjakij drugoj]» (V, 299). Er wäre also nicht bloß ein «Talent der Intelli|genz» (Cohen), das befähigt ist, auch zu philosophieren. Vielmehr würde er geradezu den Ernstfall des Philosophischen realisieren. Weshalb? Pasternak schreibt weiter, noch immer für Kleist sprech|end und damit zugleich seinen eigenen Werdegang modellierend:

[…] weil die grundlegende ihm [dem Künstler] angeborene Intonation eine Absage an die Unmittelbarkeit der Intuition ist; der negative große Errichter einer Systematik des Seins findet im wahrhaftigen Dichter seinen echten, inspirierten Ausführer. Die Kultur der Asketik entdeckt den Asketen im schöpferischen Menschen. Einen extremen Asketen. Extrem deshalb, weil wir sehen, dass dieser sonderbare Mensch sich anschickt, alles Sein um ihn und in sich zu veräußern [otčuždat', wörtl.: ver-fremden] […].35

27Der «Bruch mit dem Natürlichen» [razryv s estestvennym] – eine Formel, die eher auf die Husserlsche Phänomenologie als auf den Neukantianismus zu verweisen scheint36 – wird in Pasternaks Essay-Fragment als kulturbildende Grundoperation der «Asketik» [aske|tika] beschrieben. Und es sei eben der werdende Dichter, der diese Asketik in Reinform, als radikale Geste vorlebe und so, während er sich «auf der Schwelle» zur Kunst befindet, zur Avantgarde der strengen Philosophie werde. Dabei ist der Bruch keineswegs destruktiv zu verstehen, eher als Unterbrechung, als Verfremdung konventionalisierter Zuordnungen: «Und jetzt beginnen wir zu sehen, dass der Künstler in seiner Praxis ganze Seinsbereiche befreien wird, und sie werden zu Niemandsland […]».37 Kein Kahlschlag wird entworfen, eher ein Lösen von verfestigter Knoten.

28Hier geschieht ein entscheidender Schritt: Pasternak verbindet den Asketik-Diskurs mit seinem Begriff des «Lyrismus» [lirizm] und dadurch mit der Figur der Rhythmisierung. Explizit erinnert er an die Etymologie von Askese: das «Üben», und betont, dass sie nicht lediglich Entsagung meine, sondern auch ein fortwährend neu ansetzendes «Spiel». Er spricht von «rhythmischem Asketismus» [ritmičeskij asketizm]. Die Vorstellung, dass Lyrismus ein asketischer Modus sei, der – wie Pasternak anderswo schreibt – aus der Wahrnehmung der bloß «legendären» Wirklichkeit ein rhythmisiert-reales Gebilde mache,38 diese Vorstellung muss ganz offensichtlich im Zusammenhang mit der neukantianischen Setzung gesehen werden. Noch weiter als Pasternak ging diesbezüglich sein Mitstreiter im postsymbolistischen-futuristischen Dichterkreis Lira/Centrifuga, Sergej Bobrov. Bobrov (1914, 6) sprach – hochgradig aktivistisch – von der «lyrischen Operativität» [liričeskaja dejstvennost'] und vice versa vom «operativem Lyrismus» [dejstvennaja liričnost']. Das vermeintlich rein schwärmerisch-singende Element der Dichtung, das «Lyrische», erscheint gerade als ihr höchster kulturstiftender Akt, insofern es eine eminent welthervorbringende Dimension hat.

29Aber Pasternak wäre nicht Pasternak, wenn er diesen lyrisch-asketischen Konstruktivismus unangefochten gelten ließe. In einem der Prosafragmente von 1912 (hier sind wir zeitlich nah am Marburg-Abenteuer) schreibt er, dass die Wirklichkeit [byl'] auf der «Schwelle der Inspiration» von einem «Durst nach Unbetontem, nach dem ἄπειρον [Unbeschränkten]» und einem «unbetonten Chaos» durchdrungen sei.39 Bei dieser Unbetontheit handelt es sich um eine versifikatorische Metapher. Im Moment der Inspiration werde der Dichter aufmerksam auf ein Bedürfnis nach der weiblichen Verskomponente, d.h. der Senkung (statt nur der «männ|lichen» Hebung): «Die Wirklichkeit gab nur die schwere Silbe, die erste Hälfte des Versfußes, die gesangliche Sinngebung erforderte einen zweiten Teil, den Abend, die Dämmerung […]».40

30Wir können hier auch noch einmal an die Bemerkung über die Marburger Philosophen denken, sie würden «nicht fallen im Schöp|ferischen», und wir sehen: So sehr der Lyrismus für die Hebungen zuständig ist und also für die Rhythmisierung des Chaos, so sehr will Pasternak auch die Kehrseite, die Senkung, zur Geltung bringen. Lyrik kann nicht nur Strukturierung des Chaos sein. Ebenso|sehr eröffnet sie nach Pasternak in einer schon überstrukturierten Welt und im perspektivisch schon entworfenen Raum wahre Frei-räume, senkt den Blick und wird aufmerksam für die dämmerige Chora.41 Der frühe Pasternak ist so in einem ganz grundsätzlichen Sinne zwischen dem Neukantianischen (hier der Chiffre asketischer Rhythmisierung) und dem Sophianischen (hier als dem Unbe|schränkten, Nicht-Rhythmisierten) zu sehen.

5 | Pasternaks venezianische Architektonik: Eine (anti-)moderne Konstellation

31Aufschlussreiches Material für die These vom Umbau – statt Ab|bruch – des Philosophischen liefert die auf die Marburger Kapitel folgende Venedig-Episode mit ihrer hochgradig neukantianischen Leitidee, wonach die «Abbildung Venedigs Venedig selbst» sei.42 Es handelt sich um eine doppelte Identitätsbehauptung: Pasternak suggeriert erstens, dass in Venedig Kunstgeschichte und Geschichte zusammenfielen. Zweitens führt er vor, dass das «Schwimmen» der Stadt in ihrem Spiegelbild die Stadt selbst sei. Lässt sich nun aber auch behaupten, dass die Abreise aus Marburg und die Ankunft in Venedig eine Verschiebung vom Neukantianismus hin zum Sophia|nischen, vom projektiven Konstruktivismus hin zu einer «gewachsenen» Architektonik impliziert? Einen linearen Übergang gibt es, das lässt sich zweifellos sagen, nicht. Ich möchte im Folgenden lediglich eine mögliche Richtung der Lektüre skizzieren.

32Venedig erscheint dem Anreisenden zwar als etwas «Dunkles», in dem zunächst nur «zwei-drei Sterne aufleuchten», ein wenig später aber heißt es: «[…] der nächtliche Himmel leuchtete, und alles ging irgendwohin davon».43 Die noch in der Marburg-Erzählung entwickelte Figur einer hellen Dunkelheit, die die luzide Transparenz des rationalistischen Philosophierens überbietet, entfaltet sich in Venedig weiter ins Offene. Im Gedicht Venecija (zuerst 1913, hier in der zweiten Version von 1928, also zeitlich sehr nah an Ochrannaja gramota) wird die «Geburt» der Tageswirklichkeit aus der dunklen Sphäre des Schlafs/Traums evoziert. Zugleich fällt diese helle Tages|wirklichkeit – unterstrichen durch den Reim jav'/vplav' – zurück in ihr Spiegelbild, die Wellen:

Hinter ihren [der Gondeln] Haltestellen
In den Überbleibseln des Schlafs/Traums wurde die Tageshelle geboren.
Venezia als Venezianerin
Stürzte sich von den Uferpromenaden schwimmend.44

33Der personifizierten Venezia wurde etwas angetan (es ist vom Schrei einer «beleidigten Frau», [ženščinoju oskorblennoj], die Rede).45 Dass sie im Fallen festgehalten ist, verweist noch einmal auf die Vor|stellungen von der schöpferischen Passivität. Zentral ist dabei nun aber der Aspekt der Raum-Eröffnung – statt Raum-Ergreifung.46

34Wenden wir uns den Beschreibungen in Ochrannaja gramota zu. Venedigs Gassen «treten zur Seite», um dem «sich bewegenden» Sternenlicht Platz zu machen, und sie bringen so die Plätze und Kreuzungen zuallererst hervor, wie Lichtungen.47 Das Schreiben über Architektur ist selbst architektonisch; die Stadt wird im Zuge ihrer Beschreibung erbaut. Pasternaks Venedig-Architektonik gipfelt in der folgenden Passage:

[…] du neigst zum Gefühl, dass Venedig eine Stadt ist, die von Bauten bewohnt wird. In dieser Behauptung ist überhaupt nichts Figurales. Das Wort, von den Architekten in Stein gesagt, ist so hoch, dass keine erdenkliche Rhetorik zu ihr hoch reicht. Mehr noch, es wurde durch die Jahrhunderte mit den Euphorien der Reisenden wie von Muscheln überwachsen. Die wachsende Begeisterung verdrängte aus Venedig die letzte Spur von Deklamation.48

35Im Zusammenhang des «Wortes der Architekten» ist an die Sophia als Baumeisterin der Schöpfung zu erinnern. Das Wort der Erbauer Venedigs zeigte sich in der Zurückhaltung – schweigend – und erbaute so die Palazzi der Stadt. Das Überwachsenwerden der Archi|tektur «wie von Muscheln» [kak rakuškami] vergegenwärtigt die Qualität einer raumgebenden, aktiv-passiven, chorahaften Rezepti|vität.49 Die metaphorischen Muschelablagerungen verweisen aller|dings auch intratextuell auf das «pflanzliche», unfreiwillig sich ver|zweigende Denken des Philosophiestudenten in Marburg, und au|ßerdem an das «Nest» der Geschichte, das in den Venezianer Kapiteln erwähnt wird (III, 207). Was das Zurückdrängen des Deklamatorischen – als rhetorisch-persuasiver Strategie – betrifft, ist schließlich noch einmal an den «Lyrismus» zu erinnern. Mit dem Konzept des Lyrismus hatten Pasternak und seine Dichterfreunde in den 1910er Jahren ein deklamatorisches, zugleich neukantianisch depersonalisiertes Element der Dichtung konzeptualisiert. Durch die Absage an die Deklamation, wie er sie nun dem «Wort» der Architekten Venedigs zuschreibt, wendet sich Pasternak insofern erneut der Kehrseite des Männlich-Akzentuierten zu: dem Unak|zentuierten, Unbeschränkten, Chaotischen. Man kann auch noch einmal an Derridas Chora denken. Denn tatsächlich beschreibt Derrida die Chora als «der Rhetorik unzugänglich» [inaccessible à la rhétorique], als «dasjenige, was die Anstrengungen der Persuasion entwaffnet» [cela même qui désarme les efforts de persuasion]» (Derrida 1993, 3).

36Wie Michel Aucouturier gezeigt hat, können die Ausführungen zur venezianischen Kunst als Kommentar zur stalinistischen Kultur|politik gelesen werden, insofern die von den venezianischen Macht|habern bestellte Kunst, geschichtlich wachsend, bei Pasternak den vermeintlich totalen Staat überdauert und stattdessen zu ihrem eigenen Monument wurde.50 Ich meine nun, dass in den Venedig-Kapiteln darüber hinaus ein polemischer Kommentar zur modernen Kunst, genauer: ein Blick zurück auf die Avantgarde enthalten ist. Die in Ochrannaja gramota überall mit Händen zu greifende Histo|riosophie organischen Wachstums wird da, wo die Geschichte Venedigs in den Mittelpunkt rückt, auch zur Replik auf den futuristischen Traditionsbruch. Pasternak hatte schon 1915 – also während seiner gemäßigt futuristischen Phase – im Manifest Der schwarze Kelch [Černyj bokal] dem mechanischen Dynamismus des italienischen Futurismus51 und dem «ungewöhnlichen Tempo des Mer|cedes» [neprivyčnoj skorosti mersedesa] Marinettis einen «Impression|ismus des Ewigen» [impressionizm večnogo] entgegengestellt.52 Pasternak war freilich ein Jahr zuvor, 1914, selbst einmal flüchtig als Anhänger Marinettis in Erscheinung getreten: Im Manifest Satz|ungsurkunde [Gramota] – unterzeichnet von Nikolaj Aseev, Sergej Bobrov, Il'ja Zdanevič und Pasternak, abgedruckt in der Centrifuga-Anthologie Rukonog (1914) – werden die Autoren der Ersten Zeit|schrift der russischen Futuristen [Pervyj žurnal russkich futuristov] (hg. von Vasilij Kamenskij und David Burljuk, 1914) unter Berufung auf Marinetti als «Passéisten» verunglimpft (wobei es offensichtlich mehr um Literaturpolitik als um künstlerische Erwägungen geht) (siehe Fleishman 1990, 64f.). Wie so vielen Texten Pasternaks käme der Venedig-Episode in Ochrannaja gramota in diesem Sinne implizit auch eine konfessional-selbstanklägerische Dimension zu.

37Der mögliche Marinetti-Bezug kann wie folgt benannt werden: 1910 hatten Filippo Tommaso Marinetti und seine Mitstreiter Um|berto Boccioni, Carlo Carrà und Luigi Russolo das Manifest Gegen das passéistische Venedig [Contro Venezia passatista] publik gemacht, indem sie es in Form von 80.000 Flugblättern über dem Markus|platz abwarfen. Sie proklamierten darin: «Wir verbrennen die Gon|deln, jene Schaukelstühle für Idioten, und erheben die impotente Geometrie der Metallbrücken und der rauchbehaarten Manufak|turen bis zum Himmel, um die schlaffe Sorgfalt der alten Architek|turen zu zerstören».53 An die Stelle des nostalgischen Mondlichts sollte das «Reich des Göttlichen elektrischen Lichts” [il regno della divina Luce Elettrice] treten (Marinetti 1968b, 30). Man denke dem|gegenüber an die zentrale Rolle der Gondeln und des Sternenhim|mels in Ochrannaja gramota und in den «Venecija»-Gedichten, von den «alten Architekturen» ganz zu schweifgen. Doch der mögliche polemische Bezug ist noch enger. In seiner Futuristische Rede an die Venezianer [Discorso futurista ai Veneziani] (ebenfalls 1910) nahm Marinetti die erotischen Konnotationen, das verführerische Auf-sich-Ziehen fremder Blicke Venedigs aufs Korn:

Genug! Genug!.... Hör endlich auf allen Passanten der Erde obszöne Einladungen zuzuflüstern, o Venezia, alte Schmeich|lerin, die du dich unter deiner lastenden Mantille aus Mosaiken noch immer darauf versteifst, [deinen Besuchern] erschöpfende romantische Nächte zu bereiten, klagende Serenaden und angst|erfüllte Hinterhalte!54

38Gerade der von Marinetti desavouierte stumme Dialog mit den Passanten steht im Zentrum der Historiosophie von Ochrannaja gramota: Pasternaks Muscheln an den Palazzi sind Spuren der Zuneigung von Reisenden, Ablagerungen einer jahrhundertealten (Liebes-) Geschichte. Es ist, als würde Pasternak der von Marinetti (1968b, 31) attackierten «Tyrannei der Liebe” [tirannia dell’amore] einen Schutzbrief ausstellen – auch ohne explizites Liebesabenteuer; sein Held verbringt eine «romantische Nacht» mit Venedig, mit der Stadt selbst. Ein besonderes Augenmerk von Marinettis Ikonoklas|mus galt den überkommenen Verhüllungen: die schon zitierte «schwere Mantille aus Mosaiken» [la tua pesante mantiglia di mosaici], «dieses ganze sinnlose Kleid» [Tutta questa roba assurda], «verschleierte Frauen» [donne velate], «deine geheimnisvolle Fin|sternis» [le tue tenebre misteriose] (Marinetti 1968b, 31). Gemessen daran entfaltet Pasternak nicht nur in der Venedig-Darstellung, sondern in Ochrannaja gramota überhaupt eine Architektonik der Ablagerungen, Verhüllungen und Verbergungen.55

39Nun ist noch einmal zu fragen: Wie verhält sich die (antifuturistische) Rettung der wachsenden Architektonik zum neukantianischen Komplex?

40Es darf nicht vergessen werden, dass die Weiterreise nach Venedig im Licht des Mittelteils von Ochrannaja gramota als Weiterführung des Aufenthalts in Marburg erscheint, nicht als dessen Abbrechen. «Die Geschichte kannte man in Marburg in Vollkom|menheit», heißt es dort über Cohen, Natorp und Hartmann, «und sie wurden nicht müde, Schatz um Schatz aus den Archiven der italienischen Renaissance zu bergen […].56 Mehr noch, man habe in Marburg einen Blick auf Geschichte gepflegt, der «genial verallgemeinert» sei, «aber zugleich in den exakten Grenzen gesunder Wahrscheinlichkeit [pravdopodobie, wörtl.: Wahrheitsähnlichkeit]» bleibe.57 Das Studium der Geschichte, auch entferntester und scheinbar uneinholbarer Perioden, habe in den Marburger Semi|naren immer «logische Kommentierung» [logičeskaja kommentacija] zugelassen und einen antiquarisch-sammelnden Zugang so ausge|schlossen. Von dieser Bemerkung her lässt sich interessanterweise eine Brücke zur futuristischen Aggression schlagen: Marinetti (1968b, 32) hatte den Venezianern vorgeworfen, sie seien zu «Anti|quaren» ihrer eigenen, einst so dynamischen Stadt und zu «Kopis|ten» der vergangenen Kunst geworden, und sie hätten vergessen, dass sie als moderne Italiener vor allem eines sein müssten: «Konstrukteure der Zukunft» [costruttori dell’avvenire]; (Hervor|hebung im Original). Dieses Problem des «Antiquarischen» – und Touristischen – sieht Pasternak in Venedig ganz einfach deshalb nicht, weil er in der Stadt zunächst eine Trope seines eigenen Kunstdenkens findet. Das «Genie» entfalte sich immer «innerhalb der Kultur» [vnutri kul'tury], nicht «jenseits ihrer Schranke» [za ee ogradoj], nicht durch ihre Sprengung. Der künstlerische Neu-Einsatz komme durch «rohe Unmittelbarkeit des sittlichen Gespürs» [gruboj neposredstvennosti nravstvennogo čut'ja] je innerhalb eines gegebenen Raumes zustande. In diesem Zusammenhang fällt das Wort vom «gezähmten [ukroščennyj] Savonarola», der bis an die «Grenze [predela] der Kultur» gehe, sie aber im Gegensatz zum «ungezähmten» Savonarola nicht überschreite und zerstöre.58 Der Kultur-Raum Venedig bleibt – anders als bei den Ikonoklasten Marinetti, Boccioni, Carrà und Russolo – bei Pasternak unangetastet. Vom dritten Teil von Ochrannaja gramota her betrachtet, erscheint Savonarola als Chiffre für Vladimir Majakovskij, den von Pasternak mit ebenso viel Bewunderung wie Unbehagen wahrgenommenen «Ikonoklasten» [ikonoborec] des russischen Futurismus. Tatsächlich schreibt er Majakovskij eine geradezu überspannte moralische Sensibilität zu (III, 216). Es kann also nicht darum gehen, Marinetti zum einzigen Adressaten der Subtexte dieser Episode zu erklären. Im Kontrast zu den italienischen Venedig-Ikonoklasten kommt Paster|naks architektonisches Pathos jedoch in einer Weise zur Geltung, wie es durch die zeitgenössischen Bezüge (Majakovskijs Selbstmord, stalinistische Kulturpolitik) allein nicht möglich wäre.

41Das neukantianische Paradigma steht erstaunlicherweise nicht nur nicht quer zur Venezianer Episode; es scheint geradezu als theoretische Abstützung für sie zu funktionieren. Ästhetisch wird Vene|dig für Pasternak, wie angedeutet, zum Modellfall seines Credos der Abbildbarkeit. Venedig dient der Vergewisserung, dass die Repro|duktionen, die der Held als Kind sah – und insofern die «Bekannt|schaft» mit der Kunst auf ihrer Grundlage überhaupt – wahrheitsgetreu waren.59 Analog gilt: Die Spiegelbilder in den Kanälen lassen Venedig selbst erscheinen, und: Die venezianische Kunst ist die Geschichte der Stadt. Über seine Erinnerung an den beinahe zwanzig Jahre zurückliegenden Venedig-Besuch bemerkt Pasternaks autobiographisches Subjekt konsequenterweise: «[…] in meinem verdichteten Schluss werde ich mich nicht von der Wahrheit entfernen».60 Eine «Marburger» Grundlage dieses Vertrauens ist insofern wahrscheinlich, als schon zuvor nach der gleichen Logik von der «Identität» [toždestvo] des zeitgenössischen Marburg mit dem mittelalterlichen die Rede ist, das Pasternaks Held zum Zeitpunkt seiner Bildungsreise längst durch russische Buchpublikationen gekannt habe (vgl. III, 170).

42Setzt man die Episode zusätzlich in Relation zu einem der be|kanntesten Venedig-Texte der Moderne, jenem aus Marcel Prousts Albertine disparue (dem sechsten Band von À la recherche du temps perdu), gewinnt die Hypothese von Pasternaks Marburger Vertrauen noch mehr an Profil. Der Gegensatz könnte kaum größer sein, vor allem wenn man bedenkt, dass Prousts Text seinerseits durchaus als emphatisch «architektonisch» zu gelten hat. Venedig ist für seinen Erzähler indes zuerst ein «innerlich» imaginiertes, um dann, während seiner Reise, zum Ort einer tiefen Desillusion zu werden (siehe Spurr 2012, 180). So heißt es bei Proust: «Die Palazzi schie|nen mir reduziert auf ihre Einzelteile und Mengen an Marmor, wie er überall vorkommt, und das Wasser als ewige Verbindung aus Wasserstoff und Stickstoff, vor und außerhalb Venedigs liegend, die nichts ahnte von den Dogen und von Turner».61 Ebenjene Kon|tinuität zwischen dem Urbild Venedigs und seinen Abbildern (in Reproduktionen von Kunstwerken, im Wasser und letztlich in der Literatur), die bei Pasternak so sehr betont wird, erweist sich in Prousts Recherche als Illusion. Während die Palazzi bei Pasternak einen Raum erfüllter Leere eröffnen, bleiben sie bei Proust indifferente Konglomerate aus Steinen, rohe Fakten. Es wäre selbstverstän|dlich überzogen, diesen schlagenden Gegensatz ganz auf den Um|stand zurückzuführen, dass Pasternak von Cohens Erkenntnislehre ausging und Proust nicht. Aber man kann Pasternaks Optimismus in diesem Punkt schwerlich gerecht werden, wenn man die neukantianische Genealogie seiner Venedig-Reise nicht berücksichtigt.

43Was freilich in Pasternaks Abbildungs-Credo nicht zwingend enthalten scheint, ist das Eintreten in den belebten Raum eines (künst|lerischen) Ereignisses. Über die venezianische Malerei heißt es in Ochrannaja gramota: «Aber man musste zu ihrer [der Reproduktio|nen] Lagerstätte [mestoroždenie, wörtl.: Orts-geburt] gelangen, um – im Unterschied zu den einzelnen Bildern – die Malerei [živopis', wörtl.: Lebenschreiben] selbst zu erblicken, als ein goldenes Sumpf|land, als einen ursprünglichen Strudel des Schöpferischen».62 Man sieht: Das neukantianische Paradigma der gültigen Setzung (der Re-produktion) wird hier durch ein zutiefst organizistisches über|schrieben. Die Architektur und die Malerei Venedigs vergegen|wärtigen eine Poetik des wachsenden Raumes. Unter den Bildern – in ihrer Urgrundierung – entdeckt Pasternaks erzähltes/erzählendes Ich ihre eigentliche Fülle. Selbst der Malerei käme so eine dreidimensional «chorische» Dimension zu.

44Die weiter oben zitierte Stelle zum «Wort» der Venezianer Architekten endet mit der stark lyrisch intonierten Bemerkung: «Es blieben keine leeren Stellen in den leeren Palästen. Alles ist mit Schönheit belegt».63 Das schweigende Wort und die erfüllte Leere sind Oxymora, die an die Antinomik der Sophia64 ebenso wie an die Unfassbarkeit der Chora denken lassen.65 In diesem Zusammenhang dürfen wir nicht vergessen, dass Pasternak den Begriff des «Ikono|klasten» in Ochrannaja gramota nicht einfach als Kampfbegriff verwendet. Er versucht ihn vielmehr für sein Modell des Schöp|ferischen zu retten und beansprucht ihn letztlich für sich. Als der zweiundzwanzigjährige Bildungsreisende, der er 1912 war, habe er noch nicht gewusst, «dass der Ikonoklast die am längsten währenden Bilder in jenen seltenen Fällen hinterlässt, in denen er nicht mit leeren Händen geboren wird [roždaetsja ne s pustymi rukami].» (III, 207) Die Parallele mit der Vorstellung vom Kunstwerk, das seine eigene Geburt erzählt, ist evident. Und auch hier: Das «immer-schon» dieses nicht-leeren Raums zwischen den Händen ist genauso sophianisch wie chora|haft. Pasternaks ideale Künstlerfigur hält nicht etwas in den Händen. Eher geht sie von einer gegebenen Anwesenheit aus, die verhindert, dass der Künstler Hand an die vorgefundenen wachsenden Architekturen legen könnte. Der von der Erfahrungswelt abstrahierende lyrisch-asketische Neuaufbau der Welt mit Hilfe des «Unendlichkleinen» (Cohen) kommt diesem Gegebenen theoretisch zwar zum Verwechseln nahe. Die Setzung muss aber zugleich eine «geborene» sein. In diesem paradoxen Sinne bleibt Pasternak über sein Marburg-Abenteuer hinaus ein poetischer Neukantianer.

    Notes

  • 1 Paul Natorp und Ernst Cassirer brachten diesen zentralen Aspekt des Marburger Neukantianismus mit dem Begriff Poiesis auf den Punkt (siehe Stolzenberg 2004).
  • 2 Siehe vor allem Bachtins frühe Texte Zur Philosophie der Handlung [K filosofii postupka] (Bachtin 2003a, 49–68 et passim) und Das Problem von Inhalt, Material und Form im Wortkunstschaffen [Problema soderžanija, materiala i formy v slovesnom chudožestvennom tvorčestve] (1924; Bachtin 2003c, 275–279).
  • 3 Bezeichnenderweise beginnt Sergej Bulgakov (Boulgakov 1983, 7–17) seine Einführung in die Sophiologie mit einer Betrachtung der Hagia Sophia in Konstantinopel.
  • 4 Die Frage, ob es sich bei Pasternaks Hommage an Venedig im engeren Sinne um eine Antwort auf die ikonoklastische Aktion Marinettis und seiner Mitstreiter handelt, kann auf Grund der Quellenlage nicht abschließend beantwortet werden. Doch auch typologisch wurde Pasternaks Venedig meines Wissens bis heute nicht mit jenem der italienischen Futuristen in Beziehung gesetzt.
  • 5 Siehe die charakteristische Stelle aus Cohens Logik der reinen Vernunft: «Das Urteil des Ursprungs besagt nur, daß das reine Denken mit dem Ursprung beginnen müsse, sofern es das Denken der Erkenntnis, als des Seins ist. Jetzt aber sehen wir, wie auf Grund des Ursprungs das Sein als Realität zur Definition gelangt. Das Unendlichkleine stellt es dar.» (Cohen 1997 [1902], 134; Hervorhebung im Original)
  • 6 Aus der Bibel wird nach der Einheitsübersetzung zitiert.
  • 7 Zit. nach Meerson 1995, 229, und Gollerbach 2000, 349.
  • 8 «[…] я не люблю жить, я люблю истолковывать.» Brief vom 17. Mai 1911 (Pasternak 2003–2005:VII, 81). Pasternak wird im Folgenden nach der elfbändigen Ausgabe von 2003–2005 jeweils unter Angabe der Bandnummer und Seitenzahl zitiert. Alle Übersetzungen stammen von mir, Ch. Z.
  • 9 Das Vortragsmanuskript von Simvolizm i bessmertie ging verloren; Pasternak rekonstruierte den Inhalt in Thesenform; siehe Simvolizm i bessmertie. Tezisy (V, 318f., sowie später (1957) Ljudi i položenija. Avtobiografičeskij očerk; III, 318f.).
  • 10 «Поскольку я оправданно приобщаюсь к миру другости, я бываю в нем пассивно активен. […] моя софийность, другой пляшет во мне.».» (Bachtin 2003b, 205; Hervorhebung im Original). Sehr weit geht Andrea Uhlig (2001, 292), wenn sie schreibt, auch Pasternaks Konzept der «freien Subjektivität» sei «durch das sophiologische Paradigma determiniert.» Das heißt aber auch, dass Uhlig (2001, 296) in diesem Paradigma einen Ausdruck «absolute[r] Künstlichkeit» sieht. Im Grunde versteht sie Sophiologie also bereits als Operation. Dagegen würde ich mit dem «Sophianischen» gerade etwas Vor-Operationelles beschreiben wollen, das mit dem konstruktiven Denken des Neukantianismus immer bis zu einem bestimmten Grad unverrechenbar bleibt.
  • 11 Bezeichnenderweise spielt die Sophia/Sophiologie in Glazov-Corrigans (2013) ausgezeichneter, quellennaher Studie Art after Philosophy zum Übergang zwischen Philosophie und Literatur beim frühen Pasternak keinerlei Rolle.
  • 12 Die Namen, die Pasternak mit der Marburger Philosophie in Moskau verbindet, Sergej N. Trubeckoj (1862–1905) und Dmitrij F. Samarin (1890–1921), sind klar mit der slavophilen/sophiologischen Linie assoziiert. Fleishman (Flejšman 2006 [1975], 349, Fn. 7) merkt an, dass hier schon eher eine Erwähnung von Evgenij N. Trubeckoj (1863–1920) zu erwarten wäre. Als konsequenten Neukantianer kann man Dmitrij O. Gavronskij (1883–1949) bezeichnen. Gavronskij hatte 1910 sein Studium mit dem Doktorat bei Cohen abgeschlossen. Er hielt sich auch 1912 in Marburg auf, und der Gaststudent Pasternak stand mit ihm in Kontakt (siehe den Brief an den Vater vom 16./29. Mai 1912; VII, 103). Gavronskij emigrierte Anfang der 1940er Jahre in die USA und wurde später Professor in Bern. Mit seinem Bruder Aleksandr O. Gavronskij (1888–1958), dem zukünftigen Filmregisseur, war Pasternak bereits in Moskau bekannt gewesen. Ida D. Vysockaja, Vorbild der unglücklichen Liebe in Ochrannaja gramota und im Gedicht «Marburg», war eine Cousine der Gavronskij-Brüder (siehe die Kommentare in Pasternak 2003–2005: III und VII).
  • 13 «Симпатии распределялись между тремя именами. Большая часть увлекалась Бергсоном. Приверженцы геттингенского гуссерлианства находили поддержку в Шпете. Последователи Марбургской школы были лишены руководства и, предоставленные самим себе, объединялись случайными разветвлениями личной традиции, шедшей еще от С.Н. Трубецкого.» (Pasternak 2003–2005 III, 164)
  • 14 Siehe hier vor allem Pasternaks Konspekte der von ihm besuchten Seminare bei Nicolai Hartmann, Paul Natorp und Hermann Cohen (Fleishman, Harder & Dorzweiler 1996).
  • 15 Sehr weit geht wiederum Uhlig (2001, 291), wenn sie schreibt: «Die Sophiologie entwickelt sich im Frühwerk [Pasternaks] zu einer Art Ausgangsparadigma, das sich über alle […] Schaffensperioden erstreckt und dort jeweils unterschiedliche Funktionen erfüllt.» Als konkrete Belege zieht sie (Uhlig 2001, 23, Fn. 1) u.a. zwei Erwähnungen Jakob Böhmes und eine Nennung der platonischen σοφία/mudrost' heran. Wenn man diese Stellen in Pasternaks Studienheften nachliest, wird allerdings klar, dass sie keine einschlägig sophiologischen Zusammenhänge belegen können (Fleishman/Harder/Dorzweiler 1996:I, 232, 339, 364).
  • 16 Brief an Aleksandr L. Štich vom 26. Juni/8. Juli 1912 aus Marburg (VII, 119).
  • 17 Ein Nachteil an der Rede von der sofijnost' ist dagegen, dass sie tendenziell ahistorisch ist, verbindet man diesen Begriff doch fast notwendig mit späteren Entwicklungen, so besonders mit Sergej Bulgakovs Sophiologie seit den 1920er Jahren (siehe Bychkov 1997, 56).
  • 18 Uhlig (2001, 291) spricht treffend davon, dass sich Sophiologie in Pasternaks Schreiben allgemein in «Übergangsphänomenen» äußere. Das «sophiologische Grundmuster» bestehe in der «Aufhebung der Opposition weibliches vs. männliches Prinzip» (Uhlig 2001, 292). Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie «Aufhebung» zu verstehen ist. Insofern darin noch ein Übergewicht, quasi eine Hegemonie des Logos wirksam ist, erscheint die Übernahme von Solov'evs synthetischem Paradigma einer Sophio-logie für Pasternak doch sehr fraglich. Siehe dazu Zehnder 2015, 42f., 126f.
  • 19 In seiner klassischen Studie Platos Ideenlehre behandelt Paul Natorp (1994 [1903], 366–376) den Raumbegriff des Timaios ausführlich. In Pasternaks Konspekten, von denen sich zahlreiche auf Platon beziehen, gibt es allerdings, soweit ich sehe, keine Erwähnungen der Chora.
  • 20 «Да, они не существуют; они не спрягаются в страдательном. Они не падают в творчестве.» Brief an A. Štich vom 6./19. Juli 1912 aus Marburg (VII, 129)
  • 21 «[…] весь мир, из которого я вышел, все, что есть женственного, исключено […].» Brief an A. Štich vom 4./17. Juli 1912 aus Marburg (VII, 124f.).
  • 22 Siehe zu Cohens philosophischer Aneignung der Infinitesimalrechnung die Abhandlung Das Princip der Infinitesimal-Methode und seine Geschichte (1883) sowie oben die Fn. 5.
  • 23 Flejšman 2006 [1993], 383. In dieser plausiblen Lesart wäre Pasternak gegenüber dem südwestdeutschen Neukantianismus gerade deshalb gleichgültig geblieben, weil er ihm der Anlage nach im Grunde näher lag.
  • 24 «Прощай, философия, прощай, молодость, прощай, Германия!»» (Pasternak 2003–2005, III, 194)
  • 25 «Я не буду его учеником. Но я пойду к нему на ужин. А если бы я издал когда-нибудь стихи – я посвятил бы их философу инфинителимальной методы […].» Brief an A. Štich vom 26. Juni/8. Juli 1912 aus Marburg (VII, 118).
  • 26 «Существует психология творчества, проблемы поэтики. Между тем изо всего искусства именно его происхожденье переживается всего непосредственнее, и о нем не приходится строить догадок.
    Мы перестаем узнавать действительность. Она предстает в какой-то новой категории. Категория эта кажется нам ее собственным, а не нашим, состояньем. Помимо этого состоянья все на свете названо. Не названо и ново только оно. Мы пробуем его назвать. Получается искусство.
    Самое ясное, запоминающееся и важное в искусстве есть его возникновенье, и лучшие произведенья мира, повествуя о наиразличнейшем, на самом деле рассказывают о своем рожденьи. Впервые во всем объеме я это понял в описываемое время.» (Pasternak 2003–2005 III, 185)
  • 27 «Вечная женственность, не будучи переплетенной в полотно или кожу, вечная женственность в разговоре казалась ему скучною вечностью.» (Pasternak 2003–2005 III, 509)
    Die Vorstellung einer verhüllenden Membran ist einschlägig sophiologisch; vgl. Drubek-Meyer 2012.
  • 28 «Если я и писал тогда о женственности, то только потому, что сильно заблуж|дался: я не знал, что приступ страсти благороднее всяких до неузнаваемости разукрашенных слов о ней.» Brief an A. Štich vom 6. Februar 1915 (VII, 199)
  • 29 «Женственность – Гетевское слово. Прочитай его биографию, и ты перестанешь пользоваться им. Вообще это – не детское, не отроческое, не юношеское даже слово.» Brief an A. Štich vom 6. Februar 1915 (VII, 199)
  • 30 «Но я рано привык видеть в этих сгустках сомнений то элементарно чистое вещество, которое, хочешь не хочешь, само толкает на эксперименты. Неужели ты думаешь, что все отречения мои были бескорыстны?» (Pasternak 2003–2005 VII, 200)
  • 31 «Я переживал изученье науки сильнее, чем это требуется предметом.» (Pasternak 2003–2005 III, 182f.)
  • 32 «Какое-то растительное мышленье сидело во мне.» (Pasternak 2003–2005 III, 183)
  • 33 Wie Pasternak in Ochrannaja gramota mit einzelnen Philosophemen Cohens – u.a. mit dem Denken des Infinitesimalen – spielt und sie sich poetisch aneignet, ist in der Literatur ausführlich behandelt worden. Vgl. dazu Zehnder 2015, 271–302.
  • 34 Zu diesem und Pasternaks späterem Kleist-Essay von 1941 siehe Meyer-Fraatz 2002, 97–110.
  • 35 «[…] ибо основной врожденный напев его – отрешение от непосредственности интуиции; – этот отрицательный великий поэт систематики бытия находит в истинном поэте настоящего вдохновенного выполнителя. Культура аскетики обретает аскета в человеке творчества. Крайнего аскета. Крайнего потому, что мы увидим, как этот чудной человек станет отчуждать все бытие вокруг себя и в себе […].» (Pasternak 2003–2005 V, 299)
  • 36 So schreibt Sebastian Luft (2002, 29): «Die Etablierung der phänomenologischen Einstellung setzt einen Bruch mit der natürlichen Einstellung voraus.»
  • 37 «И вот мы увидим, что в своей практике художник освободит целые края были, и они станут ничьими.» (Pasternak 2003–2005 V, 299)
  • 38 Brief an Evgenij, 1910, Moskau (VII, 67f.). Dieser Brief, dessen Adressat bis heute nicht identifiziert werden konnte, entwirft eine hochgradig neukantianische Poetologie der Wirklichkeit als «Legende» oder «Aufgabe» («То, что восприятию представляется действительностью, то есть выполненной задачей, – то для творчества еще не действительность, потому что это невыполненная лирическая задача творчества.»).
  • 39 Vgl.: «Жаждой неударяемого хаоса, тоскующей волей — быть женственной бывает проникнута быль (это странное слово – мужского рода), когда она — на пороге вдохновения.» (III, 512)
  • 40 «Действительность давала лишь тяжелый слог, первую половину стопы, – какая-то певучая осмысленность требовала второй части, вечера, сумерек […].» (Pasternak 2003–2005 III, 512)
  • 41 In seiner Schlussrede als «Anti-Socrate» kehrt Sokrates in Valérys Eupalinos das Verhältnis von Chaos und Ordnung sogar um, wenn er bemerkt: «Aber der Baumeister, den ich nun vorstelle, findet sich gegenüber als Chaos und Rohstoff eben diese Ordnung der Welt, die der Demiurg aus der ursprünglichen Unordnung gezogen hat. […] irgend etwas mutet ihm [dem Baumeister] zu, dieses Werk für unvollendet zu halten, als ob es wieder vorgenommen werden sollte und in Bewegung gesetzt […].» (Valéry 1991, 116) [Mais le constructeur que je fais maintenant paraître, trouve devant soi pour chaos et pour matière primitive, précisément l’ordre du monde que le Démiurge a tiré du désordre du début. […] quelque chose lui [au constructeur] enjoint de considérer cette oeuvre inachevée, et devant être remaniée et remise en mouvement […]]. » Valéry 1944 [1923], 122). Sokrates stellt hier einen Architekten vor, der, statt der Welt Trennung [séparation] einzuprägen, das «Gegenspiel» [la réciproque] erhebt, also nicht gemäß einem Plan «handelt», sondern selbst die Handlung ist: «Da komme ich, sagt der Baumeister, ich bin die Handlung.» (Valéry 1991, 117) [Me voici, dit le constructeur, je suis l’acte.]» Valéry 1944 [1923], 124).
  • 42 «что это изображенье Венеции и есть Венеция.» (Pasternak 2003–2005 III, 198)
  • 43 « светлело ночное небо, и все куда-то уходило.» (Pasternak 2003–2005 III, 200)
  • 44 «За лодочною [гондол] их стоянкой / В остатках сна рождалась явь. / Венеция венецианкой / Бросалась с набережных вплавь.» (Pasternak 2003–2005 I, 69)
  • 45 Ein möglicher Prätext hinsichtlich der femininen Personifikation Venedigs in der russischen Literatur ist Apollon Grigor'evs Poem «Venezia la bella» (1857) (siehe dazu Kac 2008).
  • 46 Einen Überblick über die «Entdeckung des architektonischen Raumes» in der modernen Architekturtheorie gibt Moravánszky 2015.
  • 47 Vgl.: «[…] расступались порою переулки, образуя площади и перекрестки.» (III, 200)
  • 48 «[…] склоняешься к ощущенью, что Венеция – город, обитаемый зданьями […]. В этом утверждении нет фигуральности. Слово, сказанное в камне архитекторами, так высоко, что до его высоты никакой риторике не дотянуться. Кроме того, оно, как ракушками, обросло вековыми восторгами путешественников. Растущее восхищение вытеснило из Венеции последний след декламации.» (Pasternak 2003–2005 III, 203)
  • 49 Die Muscheln lassen auch an «Ohrmuschel» [ušnaja rakovina] denken; die Euphorien der Venedig-Reisenden werden von der Stadt in diesem Sinne ‚mit offenen Ohren‘ aufgenommen.
  • 50 «Die triumphalen [pianta-leonischen] Ziele verschimmelten, die Palazzi blieben.» [Панталонные цели истлели, дворцы остались.]» (III, 205). Vgl. Aucouturier 1979, 344–347.
  • 51 Im «Manifest des Futurismus» von 1909 hatte Marinetti (1968a, 10) «eine neue Schönheit: die Schönheit der Geschwindigkeit” [una bellezza nuova: la bellezza della velocità] proklamiert. Zur grundsätzlichen Distanz der russischen Futuristen (gerade auch Vladimir Majakovskijs und Velimir Chlebnikovs) gegenüber dem Technikkult des italienischen Futurismus siehe Günther 1995, 301–304 et passim.
  • 52 V, 13. Eine weitere, beiläufige Erwähnung Marinettis findet sich in einem Brief (VII, 166).
  • 53 «Bruciamo le gondole, poltrone a dondolo per cretini, e innalziamo fino al cielo l’imponente geometria dei ponti metallici e degli opifici chiomati di fumo, per abolire le cure cascanti delle vecchie architetture.” (Marinetti 1968b, 30)
  • 54 «Basta! Basta!… Finiscila di sussurrare osceni inviti a tutti i passanti della terra o Venezia, vecchia ruffiana, che sotto la tua pesante mantiglia di mosaici, ancora ti accanisci ad apprestare estenuanti notti romantiche, querule serenate e paurose imboscate!» (Marinetti 1968b, 31)
  • 55 Bezeichnenderweise entwickelt Kirsten B. Painter (2006, 77) ihr Konzept eines equilibristischen «Tempered Modernism» unter anderem an Kathedralen-Gedichten (Mandel'štams). Insofern Pasternak sich von einer ikonoklastischen Avantgarde distanziert, träfe die Rede vom «Tempered Modernism» auf ihn ebenfalls zu. In dem Maße allerdings, wie sein architektonischer Text weniger dem «Handwerklichen», als vielmehr der Eröffnung bzw. dem Wachsen und Verschieben von Raum gilt, wäre Painters Kategorie doch zu spezifisch ‚akmeistisch‘. Rilkes Gedicht «San Marco» (1908), das sie auch diskutiert, würde im Hinblick auf den großen Rilke-Leser Pasternak eine ausführlichere Lektüre erfordern.
  • 56 «Историю в Марбурге знали в совершенстве и не уставали тащить сокровище за сокровищем из архивов итальянского Возрождения.» (Pasternak 2003–2005 III, 169)
  • 57 Vgl.: «[…] гениально обобщенно, но в то же время и в точных границах здравого правдоподобья […]» (III, 169).
  • 58 Pasternaks Konzeption eines kulturbewahrenden Ikonoklasmus weist bemerkenswerte Parallelen zu Paul Valérys architektonischer Poetologie auf. In Valérys Sonett Les Grenades [Die Granatäpfel] ist die Rede vom «strahlenden Bruch» der sich öffnenden Frucht, welcher die Seele träumen lasse «von ihrer geheimnisvollen Architektur» [Cette lumineuse rupture / Fait rêver une âme que j’eus / De sa secrète architecture.] (Valéry 1926 [1922], 98). Eine solche Verbindung von Organik, Kreativität und Psychismus ist in hohem Maße kennzeichnend für Pasternaks ebenso wie für Bachtins Architektonik. Der Granatapfel wird bei Valéry als energiegeladene und doch nicht berstende «Ausschweifung der Körner» angesprochen, der sich das lyrische Subjekt bereitwillig «überlässt» [«Cédant à l’excès de vos grains] (Valéry 1926 [1922], 97). Man ist auch durch dieses Verhalten stark erinnert an Pasternaks passiv erlebendes, sich der Umgebung angleichendes Subjekt. Zu Bachtins «aktiv-passivem», «sophianischem» Ich siehe oben die Fn. 12.
  • 59 «Mit dem Geschmack ihrer heißen Quellen war ich seit meiner Kindheit aufgrund von Reproduktionen bekannt […].» [Со вкусом ее горячих ключей я был знаком с детства по репродукциям […].]» (III, 205).
  • 60 «в своем сжатом заключении я не удалюсь от правды» (Pasternak 2003–2005 III, 205).
  • 61 «Les palais m’apparaissaient réduits à leurs simples parties et quantités de marbre pareil à tout autre, et l’eau comme une combinaison d’hydrogène et d’azote éternelle, antérieur et extérieur à Venise, ignorante des doges et de Turner.» (Proust 1987, 231).
  • 62 «Но надо было попасть на их месторождение, чтобы, в отличие от отдельных картин, увидать самое живопись, как золотую топь, как один из первичных омутов творчества.» (Pasternak 2003–2005 III, 205)
  • 63 «Пустых мест в пустых дворцах не осталось. Все занято красотой.» (Pasternak 2003–2005 III, 203)
    Man könnte hier sogar ein rhythmisches Echo von Rilkes «Archaïschem Torso Apollos» sehen: «[…] denn da ist keine Stelle, / die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.» Wobei dieses Echo eine wesentliche Abweichung enthielte: Bei Pasternak fehlt jede Aufforderung zum «Ändern». Sein Asketismus besteht hier wenn schon nur noch in der Begegnung selbst, im aktiv-passiven Aufnehmen des Raumes.
  • 64 Zur Figur des Weder-Noch in der Sophiologie Florenskijs siehe Bychkov 1997, 52f.
  • 65 Es scheint, als würde sich dieses Prinzip des Raum-Gebens erst in Venedig ganz entfalten, obwohl es schon zuvor anklingt. Wenn wir ein wenig zurückblättern, so verhedderten sich die Sterne in Marburg noch im Park-Rasen und waren nicht mehr zu entwirren [теперь звезд и […] травки не расцепить]. Auf dem Schreibtisch leuchtete das «seit langem nicht mehr gewaschene Teeglas wie ein Stern am Himmel.» (III, 188) Diese Stellen zeugen von der Macht der sich ankündigenden Poesie – und vom concettistisch-metonymischen Synthetismus des Dichters Pasternak –, zugleich jedoch auch von einem Leiden an den sich verschiebenden Proportionen, das sich erst in Venedig löst.

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Published in:

Martin Erik, Mrugalski Michał, Flack Patrick (2022) Neo-Kantianism as an entanglement of intellectual cultures in Central and Eastern Europe: Neukantianismus als Verflechtung von Wissenskulturen Mittel-und Osteuropas. Genève-Lausanne, sdvig press.

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Full citation:

Zehnder Christian (2022) „Pasternak zwischen Neukantianismus und Sophiologie: Zur Architektur des Bruchs mit der Philosophie“, In: E. Martin, M. Mrugalski & P. Flack (Hrsg.), Neo-Kantianism as an entanglement of intellectual cultures in Central and Eastern Europe, Genève-Lausanne, sdvig press, 111–149.